Modern times

Neulich bin ich auf der Suche nach einem bestimmten Song auf Charlie Chaplins MODERN TIMES gestoßen. Ähnlich wie ihm geht es mir auch manchmal: Auf der Bühne entfallen mir mitten im Lied die Worte und mein Mund produziert irgend welche Silben, bis mein Gehirn den Sprung über den tiefen, tiefen Abgrund schafft und mir den richtigen Text über die Lippen sendet. Das alles passiert in realer Zeit in etwa vier bis fünf Sekunden, die in mir selbst eine gefühlte halbe Ewigkeit dauern – wobei sich die Hälfte der unendlichen Ewigkeit auch schon unendlich ewig lang anfühlt.

Interessant dabei ist, dass tatsächlich immer irgendwelche silbenartige Laute vom Körper, vom Gehirn, vom Unbewussten oder von sonst irgendwoher produziert werden, was mich letztlich immer wieder recht vertrauensvoll die Bühne betreten lässt: „Irgend etwas wird schon herauskommen“, sagt meine weise, erfahrene innere Stimme zu der in Sekundenschnelle ansteigende Panik, die gleich widerspricht und mir gehässig ein „Ich klebe jetzt deine Stimmbänder zusammen, bis sie austrocknen und du nur noch krächzt!“ zuruft. Woraufhin die sanfte, weise Stimme ruhig entgegnet: „Atme. Schlucke. Lächle. Liebe Dein Publikum. Niemand wird was merken.“ So ist es dann auch meistens.

Sprachlos bin ich dagegen in den letzten Tagen und Wochen immer wieder gewesen, wenn ich die Bilder vom grölenden Mob vor dem Bus voller Flüchtlinge in C. (mag den Namen gar nicht mehr aussprechen oder schreiben) oder die Bemerkungen mancher Menschen auf Facebook oder sonstwo gelesen und gehört habe. Aber Sprachlosigkeit dürfen wir uns nicht erlauben in dieser Situation – oder zumindest keine, die länger als ein paar Sekunden dauert. Im Gegenteil: Es wird Zeit, dass wir die Straße und die laute Aufmerksamkeit nicht mehr diesen Leuten überlassen, die (noch) nicht die Mehrheit dieses Volkes repräsentieren. Und auf keinen Fall sollten wir frustriert wegschauen, nur weil wir auch nicht weiter wissen oder einfach keine Lust haben, uns mit diesen schwierigen Themen auseinander zu setzen.

Manchmal höre ich das Argument, wir seien uns zwar bewusst über die Ursachen, die dazu geführt haben, dass Menschen jetzt auf der Flucht seien, aber schließlich seien wir persönlich nicht dafür verantwortlich: „Du und ich, wir haben keine Waffen verkauft und keine Kolonien gegründet, keine Kriege angezettelt und keine Völkermorde begangen.“ Ich sehe das etwas anders. Wir alle tragen gewisse Verantwortungen aus unserer Geschichte; bei der deutsch-jüdischen Geschichte sind wir uns da bekanntlich alle einig (mit allen zweifelhaften Folgen). Aber was wir als Bürger, als Wähler, als Nutznießer unseres westlichen Lebenswandels mit der sogenannten Flüchtlingswelle persönlich zu tun haben, das sehen wir oft nicht oder stellen keine Zusammenhänge her. Das ist auch nicht ganz leicht zu verstehen. Und unangenehm ist es obendrein.

Das weiß man spätestens dann, wenn man Michael Lüders Buch WER DEN WIND SÄT gelesen hat oder auch Loretta Napoleonis DIE RÜCKKEHR DES KALIFATS – beides Bücher, die ich Euch wärmstens empfehlen möchte. Empfehlen möchte ich auch die Veranstaltung am kommenden Donnerstag Abend mit Michael Lüders in München, für die es allerdings nur noch wenige Restkarten gibt. Alle Details dazu hier. Zuvor freue ich mich auf ein Gespräch mit Michael Lüders im BR-Studio, das von Wolf Gaudlitz moderiert und aufgezeichnet und demnächst auf Bayern2 gesendet wird. Ich sag dann nochmal Bescheid.

Ich hoffe, ich kann auch Dich ermuntern, Deine Sprachlosigkeit zu verlieren – auch auf die Gefahr hin, dass Dir manchmal ein falsches Wort entgleitet, man übers Ziel hinaus schießt oder hin und wieder Stuss herauskommt aus dem Mund. Oder hübscher ausgedrückt: Gibberish, wie es bei Charlie Chaplin heißt. Hier kann man sich die Szene auf meinem YouTube Kanal ansehen – und vielleicht findest Du auch noch andere Videos dort, die Dir gefallen.

In diesem Sinne: Lasst uns unsere Stimmen erheben! Überlassen wir die Straßen, die Bühnen, die Talk Shows nicht den grölenden Typen, die vor lauter Angst und Unwissenheit Menschenverachtung in die Welt setzen.
Seien wir gemeinsam: Manchmal sprachlos, niemals mundtot!

So grüßt herzlichst

NL_Signatur2013

PS: Save the date: Am Sonntag, den 13. März, gebe ich wieder einen Workshop zum Thema Präsenz, Ausstrahlung und Performance im Freien MusikZentrum in München und freue mich sehr über viele interessierte Teilnehmer! Es gibt den ganzen Tag viele spielerische Übungen, es macht großen Spaß und es ist für jede/n etwas dabei: Sänger*innen, Lehrer*innen, Musiker*innen und alle Menschen, die den Zauber einer besonderen Ausstrahlung entdecken möchten. Nähere Infos hier auf Seite 92 und Anmeldung übers Freie MusikZentrum.

PPS: Ich freue mich über Kommentare…!

2. Toscana-Salon

Am kommenden Sonntag gibt es wieder einen Toscana-Salon – diesmal mit Musik! Unsere Türen sind ab 17 Uhr geöffnet; ab 18:30 Uhr werden Tom Reinbrecht und Paolo Alves  für uns spielen, danach erzählen wir Euch, was sich seit unserer Silvesterfahrt alles getan hat und was uns noch so eingefallen ist für unser Projekt.
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Wer also kommen kann, bringt bitte was zu essen mit und gerne auch interessierte Freunde! Sagt bitte Beschei, zu wie vielt Ihr kommt. Wir freuen uns auf Euch!
Herzliche Grüße und bis Sonntag,

NL_Signatur2013

Friedenskonferenz und Gaza-Farce

Liebe Leserinnen und Leser!

So manche von Euch vermissen Bobby in letzter Zeit auf diesem Blog, ich weiß. Und ich würde auch furchtbar gerne wieder mit ihr kochen oder backen – allein die Zeit fehlt mir im Moment dafür. Ich werde das aber nachholen, ganz bestimmt. Jetzt muss ich mich aber gerade um ein paar andere Dinge kümmern.

Zum Beispiel muss ich mir überlegen, wie ich mit meiner Wut umgehe, wenn ich heute wieder lese, dass der israelische Zement-Monopolist Nesher als einziger Zement-Lieferant in den Gaza-Streifen gelassen wird. Dort soll also mit israelischem Zement wieder aufgebaut werden, was 2014 von israelischen Bomben zerstört wurde.

Man muss sich vorstellen: Im September 2014 beschließt die UNO zusammen mit Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde  einen Rahmenplan für den Wiederaufbau von Gaza. Es wird dabei ein Umfang von etwa 7,8 Milliarden US$ anvisiert. Damit soll Gazas Wirtschaft angekurbelt, die humanitäre Situation erleichtert und die Sicherheit Israels gewährt werden. Die Sicherheit Israels wird dadurch gewährt, indem die Bewegung, also die Einfuhr von Hilfsgütern, also vor allem von Baumaterial, strengstens überwacht wird. Die Weltbank hat ausgerechnet, dass es in Gaza ein Wirtschaftswachstum von etwa 11% gegeben hätte, hätte 2015 das geplante Baumaterial Gaza erreicht.

Der UN-finanzierte Rahmenplan – und nein, das ist jetzt kein schlechtes Märchen, auch wenn es so klingt – hat jedoch ausschließlich eines befördert: Israels Kontrolle und die Einschränkungen in Gaza. Und so ganz nebenbei auch die israelische Wiederaufbau-Industrie. Da Israel als einziger Mitspieler darüber bestimmt, was nach Gaza gelangt und was nicht, ergab es sich … wie soll man sagen… ja, praktisch wie von selbst, dass Israel steigende Profite verzeichnen konnte, da ja alles Hilfs- und Baumaterial aus israelischen Betrieben stammt und somit die israelische Wirtschaft ankurbelte. Was für eine glückliche Fügung! Praktischerweise verfiel dadurch die palästinensische Wirtschaft in eine noch größere Abhängigkeit zur Israelischen.

Diese und weitere Informationen stammen von einer Quelle, die absolut zuverlässig ist, nämlich von www.whoprofits.org . Dies ist eine Website, die als Dissertation zweier israelischer Studentinnen 2009 ins Leben gerufen wurde, um wissenschaftlich belegt festzuhalten, wer eigentlich genau von der israelischen Besatzung profitiert, also an ihr verdient. Den Artikel zum Nesher-Zement könnt Ihr hier nachlesen.

Über die Zusammenhänge von Wirtschaft, Besatzung und Friedensprojekten werde ich bei meinem Vortrag auf der Friedenskonferenz am Freitag Abend, den 12. Februar, im Alten Rathaus München sprechen. Es würde mich sehr freuen, viele von Euch dort wieder zu sehen! Besonders freue ich mich auch auf die beiden anderen Referenten, allen voran über die römische Ökonomin Loretta Napoleoni, die uns spannende Sachen über Terrorismusfinanzierung erzählen wird. Auch musikalisch werde ich den Abend zusammen mit Andi und Robert begleiten; es ist also jede Menge geboten und als Alternative zur Münchner Sicherheitskonferenz sollten wir zeigen, dass viele von uns daran interessiert sind, bei ‚Sicherheit‘ nicht immer gleich an ‚Waffengewalt‘ denken zu müssen.

Zum selben Thema bin ich auch zu einem Interview bei Radio München eingeladen worden, anzuhören live am Donnerstag, 4. Februar ab 8:30 Uhr auf RADIO MÜNCHEN online oder in der Wiederholung am Do, 4.2. um 14:30 h sowie am Freitag, 11:30 h und 20:30 h.

Live, in Farbe und in voller Länge gibt es das ORCHESTER SHLOMO GEISTREICH Trio am kommenden Samstag um 20 Uhr in Nürnberg in der Villa Leon zu erleben. Wer also in der Nähe ist: Kommt uns besuchen! Es gibt in diesen Tagen viele Gelegenheiten des Wiedersehens und Wiederhörens – ich freue mich darauf!

Herzlichst,
NL_Signatur2013

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